Literaturnobelpreis 1933: Iwan Bunin

Literaturnobelpreis 1933: Iwan Bunin
Literaturnobelpreis 1933: Iwan Bunin
 
Der Russe erhielt den Nobelpreis für das präzise Künstlertum, mit dem er die klassische russische Linie in der Prosadichtung vertritt.
 
 
Iwan Alexejewitsch Bunin, * Woronesch 22. 10. 1870, ✝ Paris 8. 11. 1953; 1889-92 Redakteur der Zeitung »Bote von Orjol«, ab 1895 intensive literarische Arbeit zunächst in Sankt Petersburg, dann in Moskau und Odessa, ab 1900 ausgedehnte Reisen nach Westeuropa, Arabien und Asien, 1902-10 erste Werkausgabe, 1915 zweite Werkausgabe, 1918 Flucht aus dem bolschewistischen Moskau nach Frankreich, ab 1945 in Paris.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Iwan Bunin gehört mit Dmitri Mereschkowski, Alexander Kuprin und Alexei Remisow zu jenen russischen Emigrationsschriftstellern, die bereits vor der Oktoberrevolution über einen gefestigten literarischen Ruf verfügten. Bunin hatte sich jenseits aller literarischen Modeströmungen einen Namen als feinfühliger Porträtist des russischen Provinzlebens gemacht. Bunin debütierte als Lyriker, fand dann aber um die Jahrhundertwende zur Novellenform, die zu seinem bevorzugten Genre wurde. Der literarische Durchbruch gelang ihm mit seiner Erzählung »Die Antonsäpfel« (1900), in der er den unaufhaltsamen Verfall der ländlichen Adelskultur beschreibt. Großes Aufsehen erregte der Kurzroman »Das Dorf« (1910), weil sich Bunin hier radikal von der idyllisierenden Darstellung des Bauerntums verabschiedete, die bis dahin die russische Literatur dominiert hatte. Die Kritiker lobten Bunins lyrischen Stil und seine sinnliche Aufmerksamkeit für Farben, Gerüche und Geräusche. Die Enthaltsamkeit von politischen und ästhetischen Programmen war es, die Bunin von den meisten Literaten seiner Zeit unterschied: Ganz bewusst ließ er seine Texte in den Zeitschriften der verschiedensten ideologischen Lager erscheinen.
 
 Freundschaft mit Gorki
 
Im Frühjahr 1899 hatte Bunin während eines Besuchs bei Anton Tschechow Maxim Gorki kennen gelernt. Gorki war zu diesem Zeitpunkt der erfolgreichste russische Autor. Trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft — Gorki hatte sich als Autodidakt aus ärmsten Verhältnissen emporgearbeitet, Bunin entstammte einem der vornehmsten Adelsgeschlechter Russlands — befreundeten sich die beiden Schriftsteller. Gorki bewunderte Bunins ausgeprägtes Stilempfinden und schriftstellerische Meisterschaft, Bunin seinerseits schätzte Gorki als sprachkräftigen Autor mit überzeugenden Motiven. In den Jahren 1909 und 1911-13 verbrachte Bunin jeweils die Wintermonate bei Gorki auf Capri. Dort entstanden viele Werke, die den Kern von Bunins künstlerischem Schaffen bilden. Dazu gehört insbesondere die Erzählung »Der Herr aus San Francisco« (1915). In diesem Werk hat Bunin am eindrücklichsten seinen metaphysischen Horror vor dem Tod gestaltet — ein Motiv, das sich durch sein ganzes Schaffen zieht. Zum Bruch zwischen Gorki und Bunin kam es nach der Oktoberrevolution, als Gorki auf die ideologische Linie der Bolschewiken einschwenkte. Zwar hatte auch Gorki zunächst eine kritische Haltung gegenüber den undemokratischen Praktiken der neuen Machthaber eingenommen, das Attentat auf Lenin im August 1918 ließ ihn jedoch verstummen. Bunin reagierte auf diesen Gesinnungswandel äußerst scharf: »Es ist an der Zeit, ihm die Künstlermaske abzureissen. Kann sein, dass er einmal Talent hatte, aber jetzt ist er in einem Sumpf von Lüge und Falschheit ertrunken.«
 
 Revolution und Emigration
 
Bunin befand sich in den ersten Monaten nach der Machtergreifung der Bolschewiken in Moskau und konnte das revolutionäre Geschehen aus nächster Nähe mitverfolgen. Ihren literarischen Niederschlag fanden Bunins Beobachtungen im Revolutionstagebuch »Verfluchte Tage«, das in der Sowjetunion öffentlicht nicht bekannt wurde. In den einzelnen Eintragungen artikulierte Bunin nicht nur sein moralisches, sondern auch sein ästhetisches Entsetzen vor der Proletarisierung aller Lebensbereiche. Umso erstaunlicher ist die Tatsache, dass Bunins literarisches Schaffen in der Emigration kaum politische Themen berührt. In den 1920er-Jahren verfasste er Novellen, die vor allem um das Motiv Liebe kreisen. Dabei steht das künstlerische Eindringen in die zutiefst tragische Dimension, die Bunin in jeder Liebesbeziehung aufdeckt, im Vordergrund.
 
 Das eigene Leben als Fiktion
 
In den Jahren 1927 bis 1933 arbeitete Bunin an seinem vielleicht wichtigsten Text, der sich auch im Umfang von der Kurzprosa abhebt. »Das Leben Arsenjews« ist eine fiktive Autobiografie, in der Bunin anhand des Werdegangs eines anderen sein eigenes Schicksal literarisch gestaltet. Dabei gelingt es Bunin, das verfallende zaristische Russland noch einmal als poetische Vision heraufzubeschwören. Diese künstlerische Leistung gab 1933 den Ausschlag bei der Zuerkennung des Nobelpreises. Dass ausgerechnet Bunin als erster Russe diese hohe Auszeichnung erhielt, war keineswegs selbstverständlich. Bereits 1901 hatte eine Gruppe namhafter schwedischer Autoren in einem offenen Brief dafür plädiert, Lew Tolstoi solle den ersten Literaturnobelpreis erhalten. Später schien Dmitri Mereschkowski der aussichtsreichste Kandidat zu sein. 1923 brachte Romain Rolland (1915) die Namen Bunin und Gorki bei der schwedischen Akademie ins Spiel. Das Gutachten über Bunin fiel negativ aus: Seine Werke seien »sowohl hinsichtlich ihrer Anzahl als auch hinsichtlich ihres ideellen Gehalts beschränkt«. Erst in den Jahren 1930 bis 1933 wurde Bunin wieder offiziell nominiert. Man verhielt sich jedoch abwartend; die Gutachten attestierten Bunin diesmal zwar eine unerreichte Meisterschaft in der russischen Prosa, gleichzeitig zögerte man jedoch, seiner schriftstellerischen Thematik weltliterarischen Rang zuzuerkennen. 1933 fiel die Entscheidung nur knapp zu Bunins Gunsten aus. Der Nobelpreis brachte ihm wenig mehr als einen Achtungserfolg: Auf dem internationalen Buchmarkt gelang ihm kein Durchbruch; auch die dringend benötigte finanzielle Hilfe, die der Preis bedeutete, war nicht von Dauer.
 
 
Nach dem Zweiten Weltkrieg, den Bunin in Armut durchlebte, erreichte er mit dem Erzählband »Dunkle Alleen« (1946) erneut einen Höhepunkt seines Schaffens. Den Titel erklärte Bunin wie folgt: »Alle Erzählungen dieses Buchs handeln ausschließlich von der Liebe, von ihren dunklen und meistens sehr finsteren und grausamen Seiten.« Daneben verfasste Bunin auch eine Reihe literarischer Memoiren, in denen er seine Verehrung für Tschechow und Tolstoi zum Ausdruck brachte. Gleichzeitig entstanden auch scharf polemische Stellungnahmen zu den Sowjetdichtern Majakowski und Gorki.
 
In der Sowjetunion konnte erst nach Stalins Tod eine sorgfältig zensierte Buninausgabe erscheinen.
 
U. Schmid

Universal-Lexikon. 2012.

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